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Migräne im Kindesalter: Es ist nicht immer Kopfschmerz!

Seit die zehnjährige Anna die Schule besucht, erbricht sie in regelmäßigen Abständen. Manchmal an bis zu vier Tagen im Monat. Anfangs dachte ihre Mutter, Anna habe Probleme in der Schule. Doch das stimmt nicht. Auch wenn ihre Noten – bedingt durch die häufigen Fehltage – nicht gerade die besten sind, geht das Mädchen doch relativ gern zur Schule. Wegen des häufigen Erbrechens war Anna schon oft beim Kinderarzt. Einmal wurde sogar eine Notfalleinweisung ins Krankenhaus erforderlich, da der Flüssigkeitsverlust durch das häufige Erbrechen zu groß wurde. Anna musste Infusionen bekommen. Auch eine Magenspiegelung wurde durchgeführt. Doch ohne Befund, bislang wurde die Ursache des Erbrechens nicht gefunden. Heute ist Anna deshalb mit ihren Eltern ins Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) am Elisabeth-Krankenhaus Essen gekommen und wartet gespannt auf die Untersuchung beim Kinderneurologen.

"Die Ursachen für häufiges Erbrechen im Kindesalter sind vielfältig und reichen von einem banalen Magen-Darminfekt, über Allergien, Entzündung im und außerhalb des Magen-Darmtraktes bis hin zum Darmverschluss oder sogar zu einem Hirntumor, einer Epilepsie oder einer Hirnentzündung", so Dr. Claudio Finetti, Oberarzt im Essener SPZ. "Die meisten dieser Erkrankungen kann man mit Hilfe einer gezielten Anamnese und klinischer Diagnostik rasch ausschließen. Werden die Ursachen für das Erbrechen nicht gefunden, muss auch dann, wenn keine Kopfschmerzen vorliegen, an Sonderformen der Migräne – so genannte Migräneäquivalente – gedacht werden. Forscher gehen davon aus, dass jedes zehnte Kind mit Migräne an einer der fünf bekannten Migräneäquivalente leidet.

Das Zyklische Erbrechen stellt die zweithäufigste Gruppe der Migräneäquivalente im Kindesalter dar und wird als ein Vorläufer der Migräne angesehen. Es beginnt meist im Alter von sechs Jahren und kann monatlich, aber auch wöchentlich auftreten. "Die wiederkehrenden Attacken sind üblicherweise in ihrem Ablauf immer gleich. Sie können zwischen einer Stunde und bis zu fünf Tagen dauern. Dabei erbrechen die Kinder mindestens viermal in der Stunde. Neben der Übelkeit tritt zumeist eine starke Blässe der Haut auf, und die Kinder sind lethargisch. Zwischen den einzelnen Attacken besteht völlige Beschwerdefreiheit", erklärt Dr. Finetti. "Um das Zyklische Erbrechen zu diagnostizieren, müssen zunächst Erkrankungen des Magen-Darmtrakts ausgeschlossen werden."

Ähnlich wie das Zyklische Erbrechen äußert sich die Abdominelle Migräne. Sie ist eine Störung, die bei Kindern wiederkehrende Bauchschmerzen hervorruft. Diese können von einer Stunde bis zu drei Tagen anhalten. Der dumpfe Schmerz ist von mittlerer bis schwerer Intensität und tritt vor allem an der Mittellinie des Bauchraums auf. Damit einher gehen häufig Appetitlosigkeit, Blässe, Übelkeit und Erbrechen. Dr. Finetti: "Auch bei der Abdominellen Migräne besteht vollkommene Beschwerdefreiheit zwischen den einzelnen Episoden. Und auch hier gilt, dass die Vorgeschichte und die körperlichen Untersuchungen keinen Hinweis auf eine Magen-Darmerkrankung ergeben." Die meisten Kinder mit einer Abdominellen Migräne entwickeln im Laufe ihres Lebens Migränekopfschmerzen.

Das häufigste Migräneäquivalent in der Kindheit ist der Gutartige Paroxysmale Schwindel. "Diese Störung ist durch wiederkehrende kurze Schwindelattacken charakterisiert, die ohne Vorwarnung auftreten und sich innerhalb von Minuten bis Stunden zurückbilden. Gleichzeitig kommt es oft zu rhythmischen Augenbewegungen und Erbrechen. Ein einseitiger, pochender Kopfschmerz kann – muss aber nicht – das Geschehen begleiten", erläutert Dr. Finetti. "Die Kinder sind neurologisch unauffällig. Untersuchungen der Hörorgane und des Gleichgewichtssinns weisen zwischen den Schwindelattacken keine Auffälligkeiten auf."

Seltene Migräneformen im Kindesalter sind die Alternierende Hemiplegie, bei der Lähmungserscheinungen abwechselnd eine der beiden Körperhälften betreffen, und der Benigne Paroxysmale Torticollis, bei dem sich in minuten- bis tagelangen wiederkehrenden Episoden der Kopf zur Seite neigt. "Diese Störungen treten bei Säuglingen und Kleinkindern auf. Sie können im Laufe der Jahre in einen Gutartigen Paroxysmalen Schwindel oder in Migränekopfschmerz übergehen oder auch ohne weitere Symptome verschwinden", so der Essener Kinderneurologe.

Bei Anna werden im SPZ die Hirnströme gemessen und weitere neurologischen Untersuchungen durchgeführt. Besonderheiten können dabei nicht festgestellt werden. Der Kinderneurologe hat daher bei Anna den Verdacht auf ein Zyklisches Erbrechen als Migräneäquivalent gestellt. Hilfreich bei der Diagnosestellung waren die vielen Voruntersuchungen bei dem Mädchen, die eine andere Ursache für das regelmäßige Erbrechen ausgeschlossen hatten. Auch bei der genauen Befragung des Kindes und seiner Eltern weist alles auf das Vorliegen des Migräneäquivalents hin: Die Brechattacken verlaufen bei Anna immer gleich und zwischenzeitlich hat sie keine Beschwerden. Außerdem leiden sowohl die Mutter als auch die Oma des Mädchens an einer Migräne.

Anna und ihre Eltern werden über das diagnostizierte Krankheitsbild ausführlich aufgeklärt. Die Zehnjährige soll nun ein Symptomtagebuch führen. Darin muss sie aufschreiben, wann das Erbrechen auftritt, wie lange es dauert, was ein möglicher Auslöser sein könnte und was sie unternimmt, damit es aufhört. Um den Brechattacken entgegenzuwirken, empfiehlt der Kinderneurologe dem Mädchen zusätzlich regelmäßig körperliche Aktivitäten an der frischen Luft und auch darauf zu achten, ausreichend Schlaf zu bekommen. Außerdem gibt der Arzt den Eltern von Anna die Adresse eines Therapeuten, der mit dem Kind psychologische Entspannungsverfahren, wie z.B. das Biofeedback oder die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, einüben soll. In drei Monaten wird Anna mit ihren Eltern wieder ins SPZ kommen und dann hoffentlich von ersten Therapieerfolgen berichten können.


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© Elisabeth-Krankenhaus Essen / NED.WORK Agentur & Verlag GmbH / Veröffentlicht am 12.10.2007